Eine Kulturgeschichte des menschlichen Herzens von Armin Dietz

Die Herzbestattung (5): Frühe Eingeweide- und Herzbestattungen

Bis ins 8. Jahrhundert gibt es keine Berichte über Herzbestattungen in den frühen Königsgrabkirchen Mitteleuropas. Hingegen sollen die Häupter des Burgunderkönigs Chodomer (†523) in Orleans und des Angelsachsen Edwins (†633) im Münster von York begraben worden sein. Erste literarische Erwähnungen einer getrennten Bestattung des Herzens vermischen Sage und Realität:

Karl der Große soll die Herzen seiner drei bei seinem Rückzug aus Spanien gefallenen Paladine RolandOlivier und Turpin entnehmen haben lassen. Rolands Herz sei zu seiner Braut Hilda in ein Nonnenkloster am Rhein gebracht worden.

In den verschiedenen Fassungen dieses Heldenepos gibt es eindeutige Passagen zur Herz- und Eingeweidebestattung: Das altfranzösische Rolandslied ist zwischen 1075 und 1110 entstanden, d.h. dem Verfasser müssen derartige Leichenbehandlungen und Begräbnispraktiken bekannt gewesen sein.

754 evtl. 755 wurde der englische Missionsbischof, Bischof von Mainz, päpstlicher Legat, Wynfreth, genannt Bonifatius, in Dokkum von heidnischen Friesen erschlagen. Sein Leichnam wurde rheinaufwärts transportiert, seine Eingeweide blieben in seiner Domkirche in Mainz, der Leichnam kam auf seinen Wunsch in das von ihm gegründete Kloster von Fulda.

877 seien die Eingeweide Karls des Kahlen entnommen und an unbekannter Stelle beigesetzt worden, der Leib kam nach St. Denis bei Paris.

Todesstätte des Heiligen Wolfgang in der Klosterkirche von Pupping/Österreich.
Todesstätte des Heiligen Wolfgang in der Klosterkirche von
Pupping/Österreich. Hier wird der Ort seiner Herzbestattung
vermutet.
(Foto: A. Dietz)

Über einhundert Jahre später sollen Eingeweide und Herz des Hl. Wolfgang an seinem Todesort in Pupping/Österreich begraben worden sein. Das Gleiche wird von den Salierkaisern Otto I. und III. berichtet.

Aus dem 11. Jahrhundert stammt der Skelettfund eines erschlagenen Ritters im Friedhof des Klosters von Ganagobie in der Haute Provence. Die Spaltung des Brustbeins spricht dafür, dass der Leiche postmortal das Herz zum gesonderten Begräbnis entnommen wurde.

Skelett mit Schwertverletzungen und eröffnetem Brustbein (rechte Abb.) eines Ritters aus dem Friedhof des Klosters Ganagobie/Frankreich
Links: Skelett eines Ritters mit Schwertverletzungen, aus dem Friedhof des Klosters Ganagobie. Rechts: Brustbein des Toten, zur Herzentnahme eröffnet (Mafart et al., Int. J.
Osteoarchaeol. 14: 67-73 (2004))

Zu den ersten historisch belegten Herzbestattungen zählt die des Salierkaisers Heinrich III. (†1056): 

Gîsant des Herzgrabes (r.) und Herzkapsel Kaiser Heinrichs III. in der Kaiserpfalz Goslar
Gîsant des Herzgrabes (r.) und Herzkapsel Kaiser Heinrichs III. in
der Kaiserpfalz Goslar
(Städt. Kulturamt Goslar)

Heinrich, der ein großer Reliquienverehrer war, hatte testamentarisch verfügt, dass sein Herz und die sonstigen Brustorgane (“cor suum cum precordiis”) im Chor der Stiftskirche Simon und Juda in Goslar, dem von ihm erwählten “clarissimum regis domicilium”, neben seiner bereits verstorbenen Tochter Mathilde beerdigt werden sollten. Dieser Wunsch entsprach nicht nur väterlicher Liebe, sondern hatte auch das Ziel, dem sächsischen Goslar imperiale Bedeutung zu verleihen, da er mit dem Herzen immer in Goslar gewesen sei (“quia corde semper fuerit in Goslar”). Im 19. Jahrhundert wurde die Stiftskirche abgerissen, das Kardiotaph des Kaisers aufgebrochen. In seiner Mitte fand sich in einer ausgemauerten Höhlung eine zerfallende Kiste mit einer amorphen Substanz, dem Rest des kaiserlichen Herzens. Diese wurde in eine achteckige goldfarbene Kapsel gebracht und unter das Kardiotaph des Kaisers gelegt, das sich heute in der Kaiserpfalz der Stadt befindet.

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  1. Susanne Labitzke

    Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Dietz,

    im Teil “Die Herzbestattung (5): Frühe Eingeweise- und Herzbestattungen” ist die Beschriftung unterhalb der 2. und 3. Abbildung irritierend und sogar unkorrekt, denn es heißt dort: “Skelett mit Schwertverletzungen und eröffnetem Brustbein (rechte Abb.) eines Ritters aus dem …”
    Die dem Wort “Skelett” folgende Präposition “mit” verlangt den Dativ und entsprechend verwenden Sie sowohl für die Schwertverletzungen wie das eröfnete Brustbein den Dativ. Beides wird somit dem Skelett zugeordnet. Deshalb muss in der ersten Klammer “linke Abb.” stehen (nicht “rechte Abb.”), denn die rechte Abbildung zeigt kein Skelett.

    Es würde sich anbieten, Abbildung 3, die die separat fotografierten Teile des Brustbeins zeigt, gesondert zu erläutern. Sie könnten dann auch darauf hinweisen, dass die geraden Schnitte/Sägespuren beweisen, dass das Brustbein chirugisch und nicht durch Kampfhandlungen zerteilt wurde.

    Freundliche Grüße

    Susanne Labitzke

    • Armin Dietz

      Sehr geehrte Frau Labitzke,

      ich bin Ihnen für Ihren Korrekturvorschlag sehr dankbar und werde ihn demnächst umsetzen.

      Herzliche Grüße

      A. Dietz

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